Tuberöse Sklerose Österreich

Erfahrungsberichte

Leben mit Felix

Zwei Jahre nach unserem Sohn Emil kam unser zweiter Sohn Felix fünf Wochen zu früh zur Welt. Wir wussten damals noch nicht, dass er an Tuberöser Sklerose erkrankt war. Felix entwickelte sich gut, war allerdings viel unruhiger und reagierte stark auf Veränderungen. Er beruhigte sich im Tragetuch und schlief auch meistens im Tuch. Mit zwölf Monaten konnte er gehen, hatte großen Spaß im Freien und am Spielplatz und war überhaupt meistens unbekümmert. Er war noch immer unruhiger, lebhafter, impulsiver, konnte aber auf Veränderungen schon besser reagieren. Mit zwei Jahren kam er zur Tagesmutter, zu der er sehr gerne ging. Sie empfahl uns, Felix entwicklungstherapeutisch untersuchen zu lassen. Uns war zuvor auch schon aufgefallen, dass er kaum sprach, aber alles zu verstehen schien, dass er über eine geringe Konzentration und Frustrationstoleranz verfügte, dass er oft zu wild schaukelte oder zu hoch kletterte. Es hat weh getan zu hören, dass mit unserem Kind vielleicht irgendwas nicht stimmt. Die Ärztin, die Felix untersuchte, bescheinigte ihm Sprachentwicklungsverzögerung, wir warteten aber ab und begannen noch nicht gleich mit einer Therapie. Mit drei Jahren begann Felix zu sprechen. Ich erinnere mich, als ich damals mit ihm und seinem Bruder bei einem Kinderkonzert war. Felix meldete sich, um auf die Bühne zu kommen, um singen zu dürfen. Er konnte den Text nicht, sang irgendwas und war unheimlich glücklich. Am Schluss sagte er: „Ich der Felis bin.“ Im Kindergarten wurde noch mehr klar, was er alles noch nicht konnte, oder einfach nicht machen wollte, was andere machte: schneiden, sich selber die Schuhe anziehen, einräumen, zuhören,… Dann begann er seine Ergotherapie, die bis jetzt zu unserem Fixpunkt jede Woche gehört, Freitag 15:00. Wir lernten, warum er sich bei gewissen Handlungen schwer tat und was er braucht, damit er es lernt. Das Wichtigste aber war, zu erkennen, dass er nicht das Gefühl bekommen soll, vieles nicht zu können und so ein negatives, zweifelndes Selbstbild zu bekommen.

Von seiner eigentlichen Erkrankung wussten wir noch immer nichts.

Zugleich fingen Felix´ erste epileptische Anfälle an, kurzes Zittern mit anschließender Übelkeit. Das EEG war unauffällig, also testeten wir seinen Blutzuckerspiegel, gingen zur Osteopathin, zur Homöopathin. Später, im Jänner 2010 bekam Felix einen Ausschlag am ganzen Körper und ich ging auf die Hautambulanz im Wilhelminenspital. Dort sagte man mir, dass der Ausschlag harmlos sei, dass sie aber auf Felix andere Hautveränderungen entdeckt hatten, die zum Krankheitsbild der Tuberösen Sklerose gehören. Ich ging mit Felix wie in Trance nach Hause, als er schlief, lasen mein Mann und ich im Internet über diese Erkrankung und es zog uns den Boden von den Füßen weg. Wir dachten, wir würden ihn verlieren und unser Leben, so wie wir es gewohnt waren, gleich mit. Wir waren voller Angst, voller Wut –  warum er und warum wir – und voller Fragen. Wochen später, er war noch mit Opa Schi fahren, wurde Felix fast eine Woche im Wilhelminenspital durch untersucht. Da wurde klar, dass bereits alle Organe betroffen waren und im EEG deutliche Veränderungen zu sehen waren. Also wurde auf Antikonvulsiva eingestellt, die ihn aber sehr müde machten. Plötzlich hatten wir keinen lebhaften, sondern einen dauermüden Felix. Die Anfälle wurden durch das Medikament kürzer, aber sie traten nicht weniger häufig auf. Also bekam er ein zweites Medikament dazu, das ihn so aggressiv machte, dass ich ihn aus dem Kindergarten nehmen musste, weil er auf andere Kinder losgegangen war. Dann wechselten wir ins AKH, Felix bekam wieder ein neues Medikament, die anderen beiden wurden ausgeschlichen. Kurz vor Schuleintritt war die aggressive Phase vorbei. Er geht in eine öffentliche Volksschule als Integrationskind. Damals wussten wir nicht, wie er in der Schule zurechtkommen würde. Der Start war schwierig, er war schnell überfordert, müde und traute sich wenig zu. Seine Lehrerin nahm ihn wie er war, lobte viel und verlangte auch Leistung. Langsam vertraute er seinem Können und bis jetzt geht er gerne in die Schule. Felix begann vor zwei Jahren mit einer Therapie, die zu seinem Gendefekt passt. Das Medikament reduziert die Tumorgröße oder hemmt seinen Wachstum. Außerdem hat es einen positiven Einfluss auf die epileptischen Anfälle, sie sind deutlich zurückgegangen.

Mit Felix haben wir eine Welt und damit Menschen kennengelernt, die wir nicht mehr missen wollen. Wir hatten auch immer Glück bei Felix KindergärtnerInnen,  TherapeutInnenen und Lehrerinnen. Und da sind die anderen Eltern, die auch auf ihre Kinder bei der Therapie warten, im Krankenhaus bei den Kontrollen. Eine Mutter mit einem autistischen Mädchen sagte zu mir: „Denk nicht an später, denk nur an heute und vielleicht morgen.“ An diesen Satz muss ich bis jetzt oft denken. Er passt zu unserem Leben mit Felix. Egal was in einem Jahr ist, wichtig ist das Jetzt, atmen und lachen, sich gegenseitig spüren und aneinander freuen. Trotzdem. Unser Leben, sein Leben ist nicht schlechter als andere es haben, es ist nur manchmal anders. Aber wir leben so gern und haben unsere Kinder so gern, dass wir vor zwei Jahren noch eines bekommen haben: Lotta.


Leben mit Verena

Verena kam im Oktober 1993 zur Welt. Bereits als sie drei Wochen alt war, hatten wir den ersten Termin im Spital, da sie das linke Auge nicht richtig aufmachte. Ich spürte damals bereits, dass irgendwas nicht passte. Mit ca. drei Monaten war dann der erste größere Anfall für uns sichtbar. Nach zahlreichen Untersuchungen lautete die Diagnose: Tuberöse Sklerose. Es begleiteten uns viele Anfälle, aber dank der guten Medikamenteneinstellung durch unsere betreuenden Ärzte ist Verena mittlerweile seit einigen Jahren anfallsfrei.

Als Verena zwei Jahre alt war, kam ihr Bruder Daniel- bei ihm ist TSC2 nicht nachweisbar- zur Welt. Die Eifersucht war von Anfang an ein Problem. Verena besuchte ab dem dritten Lebensjahr unseren Gemeindekindergarten, mit sechs Jahren wechselte sie in das Sonderpädagogische Zentrum Horn. Dort ist sie richtig aufgeblüht. Mit zunehmendem Alter wurde ihr Verhalten aber immer anstrengender. Sie entwickelte schon sehr früh ein auto-aggressives Verhalten und hat sich selbst gebissen, später wurde sie dann auch uns gegenüber aggressiv. Zwicken und Kratzen stand am Tagesplan, wenn etwas für sie nicht gepasst hat. Wir führen es auf das „Fehlen“ der Sprache zurück. 

Im Pubertätsalter kam dann die nächste große Herausforderung. Verena hatte schon lange keine richtige Tiefschlafphase mehr. Die Folge war, dass sie tagsüber sehr überdreht war und nach der Schule getobt und geweint hat. In dieser Situation half kein Trösten oder Zureden, später kam sie dann zu mir und ihr Gesichtsausdruck vermittelte mir: Mama, es tut mir leid, aber ich kann gerade nicht anders. Da fingen wir mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln an. Mit 19 Jahren wechselte Verena von der Sonderschule in die Tagesbetreuungsstätte „Seminarihof“ in Krems. Dorst ist sie gut untergebracht und fühlt sich wohl. Das Verhältnis zu ihrem mittlerweile erwachsenen Bruder wird allerdings immer schlechter, sie eifert total, wenn er nur beim Tisch sitzt, oder wir mit ihm reden. Aber da vermitteln wir ihr, dass wir beide Kinder gernhaben. Mittlerweile können wir ihr Verhalten relativ gut akzeptieren, sie ist halt so.

Seit dem Alter von neun Monaten bekommt Verena regelmäßig Physiotherapie. Sie konnte mit ca. eineinhalb Jahren frei sitzen, mit ca. drei Jahren gehen. Ab ihrem vierten Lebensjahr machten wir bei der Gesellschaft für ganzheitliche Förderung Intensivtherapien. Diese Therapien haben Verena sehr weit gebracht. Außerdem machten wir wöchentlich Physiotherapie in einem Ambulatorium bei uns in der Nähe. Mit ca. zwölf Jahren machte Verena ihre ersten Schritte allein. Auch das Reiten und die Rhythmustherapie gefielen ihr sehr gut.

Verena versteht alles, was wir sagen, kann aber nicht selber reden, sondern teilt sich durch Gesten und Zeichen mit. Sie braucht die Windel ständig, kann Kurzstrecken frei gehen, ansonsten mit Handführung, bei Langstrecken benötigt sie den Rollstuhl. Sie braucht für alltägliche Dinge Hilfe. Verena liebt das Wasser und den Garten, ein Tag ohne Musik ist für uns unvorstellbar. Wenn Verena nicht in der Tageseinrichtung ist, wird sie von  uns und meinen Schwiegereltern betreut. Früher haben auch meine Eltern viel geholfen, das ist aber altersbedingt nur mehr eingeschränkt möglich.

Verena war auch schon öfter in einem Wohnheim für schwerbehinderte Menschen untergebracht. Es hat alles sehr gut funktioniert und es hat ihr gut gefallen. Das ist unsere Vorbereitung, falls einmal ein Notfall eintritt und wir die Betreuung zu Hause nicht machen können. 

Auch wenn wir oft eingeschränkt sind in unseren Möglichkeiten, sind wir trotzdem froh und dankbar, dass wir Verena und Daniel haben. Das sonnige Gemüt, das Verena an den Tag legt, wenn es ihr gut geht, entschädigt uns für die Zeit, in der ihr Verhalten für uns anstrengend ist. Der Tag hat 24 Stunden, die anstrengenden Stunden sind nur ein Bruchteil davon.

Unser Motto: Jeder hat sein Leben, sowohl Verena als auch wir, wir müssen nur versuchen, es auf einen Nenner zu bekommen und das Beste aus der Situation machen. Und solange wir noch lachen können- das gelingt zwar nicht immer, aber meistens- ist alles in Ordnung. Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei allen bedanken, die uns bis heute auf unserem Weg begleitet haben, ganz besonders bei meinen Eltern und Schwiegereltern samt „Großfamilien“.